Ediz Hun zwischen 9. und 11. März auf dem Filmfestival Türkei Deutschland

Wissenschaftler, Schauspieler, Politiker, Schriftsteller... Es gibt im türkischen Kino keinen anderen Star, der annähernd ein ähnliches Profil hätte wie Ediz Hun. Geboren 1940 in Istanbul, begann er seine akademische Karriere mit einem Studium der Biologie und Umweltwissenschaften an den Universitäten von Oslo und Trondheim. Seine Liebe fürs Kino entdeckte er als junger Student und spielte seine erste Rolle in dem Film Genç Kızlar (Junge Frauen, 1963). Über 20 Jahre war er Liebling nicht nur der jungen Frauen in der Türkei. In fast 140 Filmen spielte er oft den romantischen, stets vornehmen, ehrlichen und besonnenen Helden aus wohlbehüteten Verhältnissen. Ein Rollenprofil, das er perfekt umsetzte, stammt er doch selbst als Einzelkind aus einer bürgerlichen Familie. Seine Mutter war Philosophielehrerin, der Vater Maschinenbauingenieur und so absolvierte Hun sein Abitur auf einer Privatschule in Istanbul. Ein absolutes Privileg damals, als die Stadt kaum eine Million Einwohner hatte, die Landflucht aber das Gesicht der Metropole bereits zu verändern begann. Die Begegnung der Landbevölkerung mit dem urbanen Bürgertum wurde immer stärker auch in der Filmkunst thematisiert. Die städtischen Eliten wurden als arrogante und habgierige Snobs dargestellt, nicht aber die Helden, die Ediz Hun verkörperte. Seine Verträumtheit und seine nie zur Schau gestellte Intellektualität machten ihn zum Idol, mit dem sich die Massen identifizieren konnten. Der Filmkritiker Burçak Evren beschreibt das so: „Er ist naiv, sentimental und fragil. Seinen inneren Schmerz kann er nicht über die Lippen bringen, wohl aber durch seine Tränen. Er ist kein aktiver herzverrückter Held, sondern einer, der sich seinem Schicksal ergeben hat. In den Melodramen wirkt er weniger als ein dem wahren Leben entsprungener Liebhaber, sondern vielmehr als eine nostalgische Märchenfigur.“

So auch in Ankara Ekspresi aus dem Jahr 1970, der im Rahmen des Festivals Türkei Deutschland läuft. Obwohl ein Agententhriller, spielt Ediz Hun auch hier den Helden mit einer konsequenten Fragilität. Ein Major der türkischen Armee, der sich in eine deutsche Agentin verliebt (Ehrengast Filiz Akın als „Hilda“), wird zum Spielball großer Politik, als die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg vor der türkischen Landesgrenze mobilisiert. Ediz Huns Figur Major Seyfi wird zum Helden gegen seinen Willen.

In unzähligen Filmen konnte Ediz Hun ein Bild etablieren, das dem Selbstverständnis gesellschaftlicher Wertvorstellungen über Männer diametral entgegenstand. Ein hoffnungslos verträumter Menschenfreund, der Dank seiner Wahrhaftigkeit die ganze Welt zu umarmen in der Lage scheint. Ein Humanist auf der Leinwand, der während der schmerzhaften gesellschaftspolitischen Umwälzungen in der Türkei in den 1960er und 1970er Jahren dem grauen Alltag auf seine Weise Paroli bot und die Massen damit begeistern konnte.

Ein „unbelehrbarer Weltverbesserer“ war Ediz Hun nicht nur in seinen Filmrollen. Bis heute ist er unermüdlich unterwegs in seinem gesellschaftspolitischen Engagement. Nach Ende seiner aktiven Schauspielkarriere kehrte er in den akademischen Betrieb zurück. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er an verschiedenen Universitäten als Dozent tätig. Umweltwissenschaften, Schauspielkunst und türkische Filmgeschichte zählen zu seinen Forschungsfeldern, über die er auch Bücher schrieb. Von 1999 bis 2002 saß er als Abgeordneter im türkischen Parlament und hatte den Vorsitz des Umweltaussschusses inne. Mit seinen weltweiten Vorträgen als Biologe und Umweltwissenschaftler engagiert er sich nach wie vor unermüdlich für eine bessere Welt.

Filiz Akın am 16. März auf dem Filmfestival Türkei Deutschland

Die Filmstars in der Türkei sind ein kompliziertes Phänomen. Entgegen allgemeinen Vorstellungen sind sie kaum in Schablonen zu stecken. Darin liegt womöglich auch die unfassbare Magie des Stardaseins. Wie zum Beispiel bei Filiz Akın, die ihre Karriere in einer Zeit begann, in der Kinoheldinnen nach dem männerdominierten Frauenbild entweder gut oder böse zu sein hatten. Während die ersteren die Reinheit und Ehre symbolisierten, standen die letzteren für Sünde und Leidenschaft. Dieses imaginierte Bild war eine typische Widerspiegelung einer feudal geprägten Weltanschauung, nach der die Frau entweder ein Engel oder eine Hexe sein konnte. Die moralische Verherrlichung angeblich weiblicher Tugenden dienten zur Begründung von Schwächen oder Stärken des Mannes, der den körperlichen Reizen der Frau unterlag oder widerstand.

Das „ideale“ Starbild musste auch Filiz Akın erfüllen, die in ihrer ersten Filmrolle 1962 in Memduh Üns Akasyalar Açarken (Wenn Akazien blühen) noch keine Chance hatte, diese Spielregeln zu durchbrechen. Für Alternativen war weder sie noch das damalige Kino oder das Publikum reif. Wie bei vielen anderen Diven vor ihr, wurde auch Akıns Kinokarriere anfangs dank glücklicher Umstände und nicht zuletzt ihres Aussehens wegen in bekannte Bahnen gelenkt.

Doch erfahrene Regisseure und Produzenten sahen in Filiz Akın von Anfang an auch das Ausnahmetalent: Die mondäne Blondine und zugleich die Absolventin einer privaten Hochschule. Das äußerliche Klischee und ein für die damalige Zeit ungewöhnlicher persönlicher Background verhalf Akın zu einem Privileg: In ihren Rollen prägte sie immer stärker das Bild einer gebildeten Diva, die die Klischees von Vornehmheit und Reichtum in den Melodramen des türkischen Kinos durch eine außergewöhnliche Intellektualität bereicherte. Die von ihr erwartete und teilweise auch erfüllte „weibliche Passivität“ oder die „dekadente Arroganz einer Blondine“ unterlief sie raffiniert durch eine sensible intellektuelle Haltung. Der „ausufernden Emotionalität“ ihrer Rollen setzte sie stets eine Bescheidenheit entgegen, die sie mit einer echten und unverbrauchten Unschuld spielte.

Filiz Akın agierte konsequent in einem Spannungsfeld, in dem sie für das Publikum eine fassbare Identifikationsfigur war, zugleich aber eine von Geheimnissen umrankte Illusion. Daran liegt es wohl auch, dass sie in vielen ihrer Rollen immer in „Einsamkeit verfangen“ war und diese Einsamkeit und Entsagung wie keine andere verkörperte.

Sicherlich war das alles keine bewusste Entscheidung der Künstlerin. Im Gegenteil, das türkische Kino hatte sie von Anfang an als Ikone vorgesehen. Dank ihrer außergewöhnlichen Schauspielkunst konnte Filiz Akın aber die vorgeschriebenen Grenzen bis zu einem gewissen Grad selbst abstecken und das türkische Kino dazu zwingen, einen neuen Typ Diva zu definieren.

Sie führte weder ihr Publikum noch Regisseure oder Produzenten in die Irre. Fast wie jeder andere Star auch spielte sie immer wieder Heldinnen, die sich sehr ähnelten, ohne dabei aber in eine künstlerische Eintönigkeit zu verfallen. Ihre Fähigkeit, anders zu sein, stellte sie konsequent unter Beweis.

In ihrem Gesamtwerk mit 116 Filmen wagte sie sich an jede Rolle und spielte jeden Charakter, den ein Star im türkischen Kino überhaupt spielen kann. Das Privileg des Reichtums stellte sie durch eine für sie typische Arroganz und Kapriziosität dar, die unerträglichen Leiden der Armut dagegen mit einer augenzwinkernden Ernsthaftigkeit. Manchmal zeigte sie in ihren Rollen unaufhaltsamen Ehrgeiz, manchmal einen unbedingten Willen, das Schicksals zu überwinden und manchmal einen außergewöhnlich gekonnt gespielten männlich angehauchten Trotz.

Filiz Akın darf nicht nur auf ihre herausragendsten Rollen in den Klassikern des türkischen Kinos wie in Gurbet Kuşları (Vögel in der Fremde), Utanç (Scham), Ankara Ekspresi (Der Ankara-Express) und Umutsuzlar (Die Hoffnunglosen) reduziert werden. Die Aura ihrer Unnahbarkeit war es, weswegen wir uns alle in sie als Traumfrau verliebten. In eine unglaubliche Schauspielerin, die nach über 50 Jahren immer noch voller Wunder und Geheimnisse ist.

Burçak Evren, Filmkritiker, Istanbul

Margarethe von Trotta am 9. und 10. März auf dem Filmfestival Türkei Deutschland

In der Tat: Margarethe von Trotta war und ist in ihren Filmen weder missionarisch noch aggressiv, wohl aber subjektiv, sehr sensibel und stets ganz nahe an ihren zentralen Filmfrauen-Figuren. Und das sind ausnahmslos „starke“ Darstellerinnen: etwa Barbara Sukowa, Katja Riemann, Hanna Schygulla, Jutta Lampe, Senta Berger,  Fanny Ardant, Agnes Fink und viele andere. Fast alle ihre Filme handeln vom Heraustritt aus bedingter oder selbstverschuldeter Unmündigkeit.

Margarethe von Trotta kam 1942 als uneheliches Kind zur Welt, der  Vater war Künstler, die Mutter entstammt deutsch-baltischem Adel. Früh entdeckt sie ihren Hang zu Kunstwelten. Sie macht eine Ausbildung zur Bühnenschauspielerin, ihre erste Rolle hatte sie in Der Widerspenstigen Zähmung. Sie will mehr und bekommt Rollen in Filmen von Regisseuren wie Fassbinder oder auch Achternbusch. Ihr eigentliches Ziel aber ist: Filmregie als Autorin. Dazu gehörte eine große Portion Zähigkeit und Durchsetzungsvermögen, denn in den 70ern  führte kaum eine Frau Regie in Filmen.

1971 heiratet sie Regisseur Volker Schlöndorff, mit dem sie wiederholt zusammenarbeitet, etwa in dem Film Strohfeuer (1972). Sie kooperiert mit ihm auch in Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975), dem Film über eine Frau, die Opfer einer politischen Hetzkampagne im Kontext der damaligen Terrorismus-Paranoia wird. Zusammen mit Schlöndorff und Heinrich Böll, dessen gleichnamiger Text die Vorlage bildet, schreibt sie am Drehbuch und führt die Co-Regie.

Das zweite Erwachen der Christa Klages (1978) ist die erste komplett eigenständige Regiearbeit. Sie erzählt hier die Geschichte einer jungen Erzieherin, die einen - letztlich sinnlosen - Bankraub begeht, um an Geld für einen bedrohten Kinderladen zu kommen. Es ist eine Ausbruchsgeschichte, ein Prozess der Selbsterkenntnis, auch ein Zeitgeistproträt aus einer weiblichen Sicht, aber dank der szenischen Sensibilität ganz frei von Thesenhaftigkeit.

Es folgt Schwestern oder Die Balance des Glücks (1979). Das Schwestern-Motiv variiert Margarethe von Trotta  auch in ihren nächsten zwei Filmen, Die bleierne Zeit (1981) und Heller Wahn (1982). Die bleierne Zeit wurde ein großer künstlerischer Erfolg, damit gelang Margarethe von Trotta der internationale Durchbruch. Das Film-Drama orientiert sich an den Biografien der beiden Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin.

Heller Wahn allerdings wurde von deutschen – männlichen – Kritikern bösartig und hämisch verrissen, während er im Ausland sehr gelobt wurde. In dem Film agieren zwei junge Frauen, immerhin Hanna Schygulla und Angela Winkler, vor der Kamera von Michael Ballhaus. Auch dies eine Geschichte über Selbstbefreiung und Ausbruch aus Konformismus und Unmündigkeit. Ein hoch sensibler, sehr artifizieller und ganz gewiss unterschätzter Film.

Völlig anders dann die Kritiker- und Publikumsreaktion auf Rosa Luxemburg (1986): Es „... war der Film, vor dem ich am meisten Angst hatte ... Ich sollte eine Zeit beschreiben, die ich selber nicht erlebt habe.“ Sie schrieb ein Drehbuch, das aus authentischen Reden und Texten bestand, die im Film aus dem Mund von Barbara Sukowa  nichts von ihrer ursprünglichen Energie und analytischen Intelligenz verloren haben. 'Rosa Luxemburg' ist ein nach wie vor enorm lebendiges und präsentes Filmporträt einer unbeugsamen, äußerst mutigen, politisch äußerst  scharf denkenden Frau, die ebenso kämpferisch wie liebesfähig und empfindsam war.

Nach vielen weiteren Filmen auch im Ausland wendet Margarethe von Trotta sich mit Hannah Arendt (2012) wieder einer großen historischen Frauenpersönlichkeit zu. Barbara Sukowa spielt auch hier die Titelfigur, die Handlung spielt zu Zeiten des Eichmann-Prozesses in Jerusalem, dem Hannah Arendt beiwohnte und darüber ein äußerst provokantes und heftig umstrittenes Buch über die „Banalität des Bösen“ schrieb.

In ihrem letzten Spielfilm aus dem Jahre 2017 dreht von Trotta - scheinbar - den Spieß um: Sie schickt in Forget about Nick zwei Frauen in den Ring. Den Nick spielt übrigens ein türkischer Schauspieler: Haluk Bilginer. Nicht viel später folgt von Trottas filmischer Essay Auf der Suche nach Ingmar Bergman, dessen Film Das siebente Siegel sie einst maßgeblich zu ihrem Wunsch, selber einmal Filme zu drehen, inspiriert hat. Bergman, ein Regisseur, der wie kaum ein anderer starke Frauen ins Zentrum seiner Filme setzte. Auch er war kein „Frauenfilmregisseur“.

Jochen Schmoldt, Journalist, Nürnberg